Börsenverluste der Sozialversicherungen: Es besteht kein Grund zur Panik
Fast jede Woche schreiben die Medien von Milliardenverlusten der Sozialversicherungen. saldo sagt, welche Konsequenzen die Börsenverluste für die Prämienzahler haben: Weit weniger als man denkt.
Inhalt
saldo 06/2009
28.03.2009
Letzte Aktualisierung:
31.03.2009
Petra Stöhr
AHV
Ende 2007 lag das Vermögen der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) bei über 27 Milliarden Franken. Innert Jahresfrist schrumpfte es auf 22,7 Milliarden. Der Ausgleichsfonds, der das AHV-Vermögen verwaltet, hat 2008 an den Finanzmärkten über 4,6 Milliarden verloren. Ein Drittel davon sind realisierte Verluste und zwei Drittel Buchverluste (siehe unten). AHV-Geschäftsführer Eric Breval: «Die realen Verluste entst...
AHV
Ende 2007 lag das Vermögen der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) bei über 27 Milliarden Franken. Innert Jahresfrist schrumpfte es auf 22,7 Milliarden. Der Ausgleichsfonds, der das AHV-Vermögen verwaltet, hat 2008 an den Finanzmärkten über 4,6 Milliarden verloren. Ein Drittel davon sind realisierte Verluste und zwei Drittel Buchverluste (siehe unten). AHV-Geschäftsführer Eric Breval: «Die realen Verluste entstanden durch Aktienverkäufe.»
Da stellt sich die Frage, warum der Ausgleichsfonds in Zeiten schlingernder Börsenkurse scheinbar ohne Notwendigkeit Aktien verkaufte. Breval: «Wir haben Aktien verkauft, um weitere Verluste zu meiden.» Um welche Papiere es sich handelt, sagt er nicht. Der Ausgleichsfonds investiert unter anderem in Aktien, Obligationen in Franken und Fremdwährungen sowie Rohstoffe. Ziel der Aktienverkäufe war gemäss Breval ein niedrigeres Risikoprofil.
Konkret: Aktien gelten als höheres Risiko als die anderen Anlagen. Der Ausgleichsfonds verkaufte die Aktien also, um deren Anteil zu reduzieren. Ende 2007 lag dieser bei über 34 Prozent, ein Jahr später waren es noch 24 Prozent. Das heisst für die Rente: Der realisierte Verlust von angeblich 1,5 Milliarden Franken ist zwar happig. Doch die AHV-Rechnung ist weiterhin positiv: Die Einnahmen überstiegen letztes Jahr die Ausgaben um 2 Milliarden. Die AHV erzielte zudem ein weiteres Mal ein deutlich besseres Resultat als prognostiziert (siehe saldo 14/08): Das 2005 erstellte Szenario für 2008 ging von einem Defizit von 563 Millionen aus. Das AHV-Vermögen liegt immer noch bei rund 23 Milliarden Franken. Fazit: Wenn die AHV-Fondsverwaltung das Geld weniger riskant anlegt und in den nächsten Jahren wie angekündigt eine Rendite von 4 Prozent erreicht, ist der Verlust verschmerzbar.
Suva
Die Suva, die gut die Hälfte der Schweizer Berufstätigen gegen Unfall versichert, hat an der Börse 4 Milliarden Franken verloren. Suva-Sprecher Erich Wiederkehr beschwichtigt: «Praktisch alles sind Buchverluste.» Unwiderruflich weg seien nur die 3 bis 4 Millionen Franken, welche die Suva für strukturierte Produkte der US-Pleitebank Lehman Brothers ausgegeben hatte. Über weitere reale Verluste sagt Wiederkehr mit Verweis auf den erst im Juni erscheinenden Geschäftsbericht nichts.
Nach diesem Milliardenverlust mit Finanzgeschäften hat die Suva noch immer genug Reserven (saldo 4/09). Die Unfallversicherung hat in wenigen Jahren 6,2 Milliarden Reserven gebildet, wie Wiederkehr sagt. Ende 2007 betrug das Anlagevermögen 31,6 Milliarden. Wiederkehr betont, dass die Suva 2008 mit anderen Wertanlagen auch Geld verdient hat, etwa mit Immobilien, Hypotheken oder Darlehen.
Das heisst für die Versicherten: Die Suva muss ihre Wertschriften nicht im dümmsten Moment verkaufen. Sie hat genügend Liquidität, um zuzuwarten, bis sich die Börse erholt hat. Der Verlust von 4 Milliarden besteht nur auf dem Papier.
Krankenkassen
Laut dem Krankenkassenverband Santésuisse haben die Krankenkassen im letzten Jahr zwischen 600 und 800 Millionen an den Finanzmärkten verloren. Santésuisse-Sprecher Felix Schneuwly: «Dabei handelt es sich um Buchverluste und um effektiv verlorenes Geld.» Genaueres könne er vorderhand nicht sagen, da die Statistik 2008 noch nicht vorliegt. Die Kassen hatten bis Ende März Zeit, um ihre Zahlen dem Bundesamt für Gesundheit abzuliefern.
Bereits bekannt sind die Zahlen der Helsana. Die grösste Schweizer Krankenkasse hatte 2008 ein Anlagekapital von 4,5 Milliarden Franken und verlor durch die Finanz- und Börsenkrise 229,4 Millionen – allesamt Buchverluste. Sprecher Rob Hartmans: «Helsana hat keine Notverkäufe getätigt und ist weder von der Lehman-Brothers-Pleite noch vom Madoff-Skandal betroffen.» Die Versicherung ist überzeugt, dass es wieder aufwärts geht: «Das Unternehmen wird auch von Gewinnen profitieren, sobald die Aktienkurse anziehen», heisst es im Geschäftsbericht. Die Reserven der Helsana lagen nach dem verlustreichen Jahr Ende 2008 bei 15 Prozent. Und damit deutlich über der geforderten Minimalreserve von 11,5 Prozent.
Das heisst für die Versicherten: Wenn alle Krankenkassen zusammen bis 800 Millionen Franken Kapitalverluste eingefahren haben, besteht der weitaus grösste Teil aus Buchverlusten. Bei steigender Börse werden sie diese kompensieren. Es besteht also kein Grund zur Panik. Auch eine weitere Prämienerhöhung würden sie nicht rechtfertigen.
Pensionskassen
«Reisst das Banken-Desaster unsere Pensionskassen in den Schlamassel?» Die Medien überboten sich im Herbst mit Horrormeldungen über die Pensionskassen. Fakt ist: Ende 2007 betrug das Anlagevermögen aller 2600 BVG-Einrichtungen über 700 Milliarden Franken. 2008 verloren die Pensionskassen am Kapitalmarkt nach Schätzungen des ehemaligen Preisüberwachers Rudolf Strahm rund 100 Milliarden.
Strahm schätzt, dass 10 bis 20 Milliarden real verloren gingen. Das heisst: Der grösste Teil der 100 Milliarden Verluste sind Buchverluste. Die Kurse werden sich bei steigender Börse wieder erholen. Die Pensionskassen haben ein derart hohes Vermögen, dass sie keine Wertpapiere im schlechtesten Moment verkaufen müssen, sondern im besten Moment veräussern können. Strahm: «Die Kassen können mit einem sehr, sehr langfristigen Anlagehorizont rechnen.» Das heisst für die Versicherten: Kein Grund zur Panik. Die Pensionskassen müssen Wertschriften erst zu tiefen Kursen verkaufen, wenn sie mehr Renten auszahlen als Vorsorgegelder einnehmen. Dieses Risiko besteht aber nur bei sehr kleinen Pensionskassen. Oder wenn eine Firma bankrottgeht und die firmeneigene Pensionskasse das ganze Geld sofort auszahlen muss.
Verlust nicht gleich Verlust
- Buchverluste: Unternehmen müssen ihre Aktiven per Stichdatum bilanzieren (meist 31.12.). Die an der Börse gehandelten Wertschriften werden dabei zum aktuellen Tageskurs in der Bilanz eingesetzt. Buchverluste sind theoretische Verluste, die nie realisiert wurden. Sie entstehen, wenn Wertschriften am Stichdatum aufgrund gesunkener Börsenwerte zu einem tieferen Wert eingesetzt werden. Ob tatsächlich ein Verlust entsteht, entscheidet sich erst, wenn das Wertpapier verkauft wird.
- Reale Verluste: Wer Aktien zu niedrigeren Kursen verkauft, als er dafür bezahlt hat, hat reale Verluste erlitten. Seine Ausgaben für die Wertpapiere waren höher als die Einnahmen.